Beethoven und seine rheinischen Musikerkolleginnen: Bericht über die Tagung am 14. und 15. Dezember in Bonn
Die Tagung „Beethoven und seine rheinischen Musikerkolleginnen“, die vom 14. bis 15. Dezember 2024 im Beethoven-Haus in Bonn stattfand, widmete sich der spannenden Frage, welche Rolle Frauen in Beethovens Netzwerk spielten, wie sie sich künstlerisch behaupteten und ob sie politische Einflussnahmen mit ihrer Musik verfolgten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beleuchteten in Vorträgen die Lebenswege dieser Frauen und deren künstlerische, persönliche und gesellschaftspolitische Beiträge. Ludwig van Beethoven ist unbestritten eine der zentralen Figuren der Musikgeschichte, doch seine künstlerische Entwicklung und sein Werk sind untrennbar mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten seiner Heimatregion verknüpft. Insbesondere Frauen spielten in diesem Kontext eine bedeutende, wenngleich häufig übersehene Rolle.
Die Tagung bot dabei Raum für eine Vernetzung zwischen Forschenden, Musikerinnen und Musikern, Lehrenden sowie interessierten Laien. Ziel war es, die bisherige Forschung zu diesem Thema zu erweitern, neue Impulse zu setzen und eine breitere Öffentlichkeit für die Bedeutung der Frauen in der rheinischen Musikgeschichte zu sensibilisieren. Neben den inhaltlichen Zielen verfolgte die Tagung auch das Anliegen, langfristige Perspektiven für die Forschung und die Rezeption weiblicher Beiträge zur Musikgeschichte zu schaffen. So wurde das Bewusstsein für die Leistungen der rheinischen Musikerinnen gestärkt.
Rollen und Zuschreibungen der Frauen in Beethovens Netzwerk
In der Einführung unterstrich Prof. Dr. Christine Siegert, Leiterin des Forschungszentrums Beethoven-Archiv, die Bedeutung der Erforschung weiblicher Biografien in der Musikgeschichte. Zu oft blieben Frauen als Randfiguren hinter männlichen Kollegen verborgen, obwohl sie nicht nur als Interpretinnen, sondern auch als Förderinnen und Gestalterinnen der Musikkultur hervortraten. Diese Perspektive zog sich wie ein roter Faden durch die Tagung.
Caroline Brandt, die spätere Ehefrau von Carl Maria von Weber, wurde von Frank Ziegler in den Mittelpunkt eines Vortrags gerückt. Ziegler zeichnete nach, wie Brandt als Schauspielerin und Sängerin in Wanderbühnen und später am Prager Theater ihre künstlerische Karriere aufbaute. Trotz einer beeindruckenden Bilanz von über 100 gespielten Rollen und einem festen Engagement wurde ihr künstlerisches Wirken letztlich von den konservativen Ansichten ihres Ehemanns eingeschränkt. Webers Frauenbild, so Ziegler, reduzierte Caroline nach der Heirat auf die Rolle der Ehefrau und Beraterin, was sie jedoch mit Würde und Fachwissen erfüllte.
Susanna Neefe, Ehefrau von Christian Gottlob Neefe, wurde von Maria Rößner-Richarz vorgestellt. Susanna Neefe war eine vielseitig talentierte Frau, die sowohl auf der Bühne als Schauspielerin als auch als Sängerin auftrat. Nach ihrer Heirat war sie jedoch hauptsächlich als Ökonomin des Haushalts und später als Verlegerin tätig. Rößner-Richarz verdeutlichte, dass Susanna nicht nur die Arbeit ihres Mannes unterstützte, sondern mit ihren eigenen literarischen und organisatorischen Tätigkeiten eine wichtige Rolle in der Kulturszene spielte.
Ein weiteres Beispiel für die Rollenvielfalt war die Präsentation von Yishai Rubin über die Schwestern Anna Maria und Anna Jacobina Salomon. Rubin dokumentierte, wie die beiden als Sängerinnen in der Bonner Hofkapelle unterrichtet und gefördert wurden, jedoch letztlich nicht den gleichen Bekanntheitsgrad wie ihr Bruder Johann Peter Salomon erreichten. Ihre Karrieren endeten früh, was Rubin auf die begrenzten Möglichkeiten und hohen Anforderungen an Künstlerinnen in dieser Zeit zurückführte.
Auch Magdalena Willmann, eine Sopranistin und Zeitgenossin Beethovens, erlebte eine ähnliche Beschränkung ihrer Möglichkeiten. Dr. John Wilson, der per Videopräsentation zugeschaltet war, zeichnete ein lebhaftes Bild von Willmanns Karriere und ihrem Einfluss auf das Opernrepertoire ihrer Zeit. Trotz ihres Erfolgs endete ihre Laufbahn nach ihrer Heirat, was Wilson als charakteristisch für die gesellschaftliche Position von Frauen in der damaligen Musikszene beschrieb.
Künstlerische Karrieren
Die Tagung beleuchtete auch die künstlerischen Werdegänge von Frauen, die trotz aller Widrigkeiten beeindruckende Beiträge zur Musikkultur leisteten.
Dr. Matthias Wessel stellte in seinem Vortrag die Stuttgarter Komponistin Emilie Zumsteeg vor. Ihre Werke, die unter anderem im Bonner Verlag von Nicolaus Simrock erschienen, fanden über den Musikalienhandel ihrer Familie Verbreitung. Wessel zeigte, wie Zumsteegs familiäres Netzwerk eine Schlüsselrolle für ihren Erfolg spielte, zugleich aber auch Einschränkungen mit sich brachte, als ihre Werke nach dem Tod ihres Vaters im familiären Musikverlag ihres Bruders veröffentlicht wurden.
Ein weiteres Beispiel für die enge Verzahnung von familiären Strukturen und künstlerischer Arbeit boten die Töchter und Enkelinnen von Anton Reicha, die von Prof. Dr. Louise Bernard de Raymond und Prof. Dr. Fabio Morabito beleuchtet wurden. Sie zeigten, wie die Frauen der Familie Reicha durch ihre Bildung und ihr Engagement im kulturellen Leben Frankreichs zur Weitergabe des musikalischen Erbes beitrugen. Besonders Marguerite Saint-Genez, die sich als Salonnière und Unterstützerin junger Künstlerinnen und Künstler engagierte, wurde als Beispiel für die aktive Rolle von Frauen in der Förderung der Künste hervorgehoben.
Antolka Hiller, deren Lebensgeschichte von Florian Ilge vorgestellt wurde, erlebte eine vielversprechende Karriere als Sängerin, bevor sie in den Schatten ihres Mannes Ferdinand Hiller trat. Ilge illustrierte eindrücklich die Spannungen innerhalb der Ehe und wie Antolka trotz persönlicher Krisen und gesellschaftlicher Erwartungen weiterhin kulturelle Impulse setzte, etwa durch literarische Gesprächskreise.
Politische Tätigkeiten von Frauen in Beethovens Netzwerk
Die Frage nach politischem Engagement und der Nutzung von Musik als Ausdrucksmittel wurde in mehreren Vorträgen aufgegriffen.
Monica Klaus widmete sich Johanna Kinkel, einer Komponistin und politischen Aktivistin, die durch ihre Revolutionslieder und ihr Engagement im Vormärz auffiel. Kinkel nutzte ihre Kunst als Plattform für politische Botschaften und setzte sich mit ihren Liedern und Schriften für demokratische Werte ein. Klaus betonte, dass Kinkel in einer von Männern dominierten politischen Szene eine bemerkenswerte Ausnahme darstellte und ihre Werke nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch relevant waren.
Auch die Enkelinnen von Anton Reicha, insbesondere Marguerite Saint-Genez, wurden als Beispiele für Frauen hervorgehoben, die gesellschaftspolitische Themen in die Kunstwelt einbrachten. Bernard de Raymond und Morabito zeigten auf, wie Marguerite durch ihre Salons einen Raum für intellektuellen Austausch schuf, der auch politische Diskussionen förderte.
Im Abschlussimpuls von Dr. Martin Schlemmer wurde die Sichtbarkeit und Rezeption der Leistungen dieser Frauen kritisch hinterfragt. Schlemmer führte aus, dass Männer häufig die Nachwelt ihrer Kolleginnen prägten, etwa durch die Vernichtung von Korrespondenzen oder die gezielte Marginalisierung weiblicher Beiträge in der Geschichtsschreibung. Diskutiert wurde auch, ob Frauen im Umfeld Beethovens wirklich als Kolleginnen auf Augenhöhe gesehen werden können oder ob sie vielmehr als Unterstützerinnen in der zweiten Reihe fungierten.
Susanne Kessel und Komponistinnen der „250 Pieces for Beethoven“
Ein besonderes Highlight der Tagung war das Konzert von Susanne Kessel am Abend des 14. Dezember. Im Rahmen ihres ambitionierten Projekts „250 Pieces for Beethoven“ präsentierte die Pianistin eine Auswahl zeitgenössischer Klavierwerke, die von Komponistinnen und Komponisten aus der ganzen Welt speziell für diesen Zyklus geschaffen wurden. Das Projekt, das anlässlich Beethovens 250. Geburtstag initiiert wurde, verbindet Vergangenheit und Gegenwart, indem es Beethovens musikalische Sprache aufgreift und in neuartige künstlerische Kontexte übersetzt.
Kessel eröffnete den Abend mit einem einleitenden Vortrag, in dem sie den kreativen Prozess hinter dem Projekt erläuterte. Werke von Komponistinnen wie Violeta Dinescu, Barbara Heller und Sarah Nemtsov spiegelten die Vielfalt der künstlerischen Reaktionen auf Beethovens Musik wider. Beeindruckend war die Komposition von Charlotte Seither, die in „Left Luggage“ auf den ersten Akkord aus Beethovens Klaviersonate Op. 31, Nr. 3 Bezug nahm, diesen jedoch in eine neue, meditative Klangwelt transformierte. Ebenso faszinierte Ruth Wiesenfeld mit ihrem Werk, das sich mit der philosophischen Dimension von Beethovens Schaffen auseinandersetzte. Die Komponistin selbst erläuterte ihren Zugang zu Beethoven.
Ein weiterer Höhepunkt war das Werk von Sara Nemtsov, die in einer experimentellen Klangsprache Akkorde aus Beethovens Klaviersonate Op. 111 schweben ließ. Die klangliche Tiefe und Präzision von Kessels Interpretation verliehen diesen Stücken große Wirkung und verdeutlichten die emotionale und intellektuelle Verbindung zwischen den modernen Kompositionen und Beethovens Werk.
Dmitry Gladkovs Klaviervortrag
Der zweite Veranstaltungstag begann mit einem Klaviervortrag des Bonner Pianisten Dmitry Gladkov, der mit seiner Darbietung zweier seltener Werke Beethovens einen musikalischen Akzent setzte. Gladkov interpretierte zunächst das „Adagio“ aus den „Zwei Stücken für Klavier“ WoO 51, das Beethoven Eleonore von Breuning gewidmet hatte. Die letzten elf Takte fehlen dem Werk. Ferdinand Ries hat sie vervollständigt, Gladkov selbst auch. Er spielte beide Versionen.
Anschließend folgte die Sonate WoO 47 Nr. 2 in f-Moll, ein Frühwerk Beethovens, das ebenfalls eng mit seinem Bonner Umfeld verbunden ist. Gladkov zeigte technische Brillanz und ein Verständnis für die dramatische Struktur der Sonate. Der Vortrag bot den Zuhörern eine seltene Gelegenheit, diese weniger bekannten Werke Beethovens in einer virtuosen und einfühlsamen Interpretation zu erleben.
Die Tagung „Beethoven und seine rheinischen Musikerkolleginnen“ bot eine differenzierte Betrachtung der Lebens- und Wirkungswelten von Frauen in Beethovens Umfeld. Von Künstlerinnen wie Caroline Brandt und Magdalena Willmann über Unternehmerinnen wie Emilie Zumsteeg bis hin zu politisch aktiven Persönlichkeiten wie Johanna Kinkel wurde deutlich, dass Frauen trotz zahlreicher Hürden entscheidende Beiträge zur Musikkultur ihrer Zeit leisteten. Die Diskussionen zeigten aber auch, wie sehr sie durch gesellschaftliche Erwartungen und die Geschichtsschreibung marginalisiert wurden. Die Tagung unterstrich die Notwendigkeit, diesen Frauen einen gebührenden Platz in der Musikgeschichte einzuräumen.
Veranstalter waren der Landschaftsverband Rheinland, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, das Beethoven-Haus Bonn, der Landesmusikrat NRW e.V. und die Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte.
Robert v. Zahn, 16.12.2024